• Dezember 7, 2024

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Keine heile Welt – Ulrich Seidls SPARTA

Ich habe es mir seit einigen Jahren zur Tradition gemacht, gerade am 24. Dezember keine Filme anzusehen, die dem sozialen Zwang zur verordneten Glückseligkeit folgen, sondern dorthin zu gehen, wo es kaum Licht, dafür aber viel Schatten gibt.

Dieses Jahr stand Ulrich Seidls SPARTA auf meinem cineastischen Weihnachtsprogramm, ein Film, der uns an die Grenzen des Erträglichen führt, und somit nicht nur zu einer Reise in den Schatten, sondern in die pure Finsternis mutiert.

In für Seidls Werk gewohnt pseudodokumentarischen Bildern begleitet von einer denkbar schlechten Tonspur breitet der Großmeister des Beklemmungskinos das Seelenleben eines Pädophilen vor uns aus, und zwar mit einer solchen Intensität, dass man mitunter geneigt sein möchte, nicht mehr zu erfahren. 

Georg Friedrich, einer der Haus- und Hofschauspieler in Ulrich Seidls psychopathologischer Vorhölle, mimt den Mitvierziger Ewald, der einigen bereits aus Seidls letztem Film RIMINI noch in Erinnerung sein mag. Damals als Randfigur im Leben seines Bruders, eines abgehalfterten Schlagersängers, ist er nun zur Hauptfigur avanciert. Mit seiner gewohnt gewöhnungsbedürftigen Stimme, die zwischen wehleidigem Geraunze und unverständlichem Genuschel rangiert, wirkt Friedrich wie der verlorene Fremdenführer seiner eigenen seelischen Untiefen. 

Ewald sucht sein Heil in Transylvanien, dort wo die EU mehr auf dem Papier als im Alltag der Menschen existiert. Die Armut ist in diesem Teil Rumäniens ein ständiger Begleiter und dominiert vor allem das Leben der Kinder und Jugendlichen. Ewald möchte etwas gegen diese Kinderarmut tun, doch beschränkt sich der Fokus seiner Güte nur auf heranwachsende junge Männer, genauer gesagt auf Knaben zwischen etwa acht und vierzehn Jahren. Er beschließt die Jungen in Judo zu trainieren und baut dafür eine ehemalige Schule zu einer archaischen Festung um, die er Sparta nennt. Er liebt die Kinder und vor allem der kleine Octavian hat es ihm angetan. Nächtelang betrachtet er die Handyfotos, die er von dem Knaben gemacht hat in einer Mischung aus Verzückung und Erregung. Als der Vater des Jungen sich offen gegen Ewalds Fürsorge stellt ist der Beginn vom Ende eingeläutet.

Einmal mehr schafft Ulrich Seidl, mit seinen quälend langen Kameraeinstellungen, den Zuseher gekonnt zur Teilnahme an einer psychologischen Hochschaubahnfahrt zu nötigen, einer Fahrt, die uns mitunter an den Rand des Erbrechens führt und auf alle Fälle lange in Erinnerung bleiben.

Nikolaus Immanuel Köhler

Nikolaus Immanuel Köhler ist Herausgeber und Eigentümer der ART QUARTERLY Publishing House Werbe- und PR-Agentur GmbH.